Pandemie, Flutwasserkatastrophe, Bundestagswahl - in den letzten Monaten überschlagen sich in Deutschland die gesellschaftlichen Ereignisse. In den damit verbundenen Diskursen versuchte die extreme Rechte, ihre Weltbilder zu verbreiten. Im Rahmen unseres Forschungsprojekts untersuchen wir die digitale Diskursproduktion der extremen Rechten: Welche Weltbilder werden von der extremen Rechten in digitalen Medien wie Blogs, Twitter und Youtube verbreitet? Welche Themen werden verhandelt? Wie knüpft die extreme Rechte an aktuelle gesellschaftliche Diskussionen an? Hier kommt ein erster Einblick in unsere Twitterdaten. Mit Methoden der digitalen Diskursforschung haben wir circa 1,4 Millionen Tweets von circa 600 Accounts untersucht. Unter den Accounts sind Parteien wie die AfD, NPD oder die Rechte sowie Influencer:innen und Journalist:innen die wir der extremen Rechten zuordnen. Die Daten wurden im Zeitraum von April bis September 2021 erhoben. Der folgende Abschnitt gibt einen Einblick in die ersten Ergebnisse der Analyse zentraler Themen und Diskursstränge.
Zentrale Themen April bis September 2021
Abbildung 1 stellt die häufigsten Hashtags im ersten Erhebungszeitraum des Projekts dar. Diese lassen sich in sechs Themenfelder untergliedern: Politische Institutionen und Akteure, Covid19- Pandemie, Bundestagswahl 2021, Migration, Medien und Ortsbezüge. Die Themenfelder decken sich also überwiegend mit den im Erhebungszeitraum medial stark diskutierten gesellschaftlichen Geschehnissen. Vorrangig ging es um den Umgang mit der Covid19- Pandemie und die Bundestagswahl 2021. Zwei Dinge fallen dabei auf: Erstens wurden Hashtags mit Bezug zur AfD mit Abstand am häufigsten genutzt. Zweitens sind unter den fünf häufigsten Hashtags der Name Annalena Baerbock und die Partei Bündnis90/Die Grünen zu finden. Dass sich hierin eine zentrale Feindbildkonstruktion der extremen Rechten im Kontext der Bundestagswahl widerspiegelt, unterstreicht der Hashtag #gruenermist.

Hashtag-Glossar der Monate April bis September
Für ein etwas differenzierteres Bild werfen wir zusätzlich einen Blick auf die häufigsten Hashtags in den einzelnen Monaten April bis September. Abbildung 2 zeigt die jeweils 15 häufigsten Hashtags. In dieser Darstellung spiegeln sich Beiträge der extremen Rechten zu kurzfristigeren Ereignissen und Diskussionen wider. Im folgenden erläutern wir kurz jene Hashtags, die nicht unmittelbar verständlich sind.

April
#allesdichtmachen: Unter dem Hashtag kommentierten zunächst Teile der deutschsprachigen Kultur- und Medienszene mit ironisch und satirisch gemeinten Videos die Corona-Politik der Regierung und die Medienberichterstattung. Der Hashtag wurde von der extremen Rechten erfolgreich aufgegriffen. Gehetzt wurde unter anderem gegen etablierte Medien und die vermeintliche Cancel Culture. Darüber hinaus wurden die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona- Virus als diktatorisches Mittel dargestellt.
#dexit: In Anspielung auf den Brexit forderte die extreme Rechte unter diesem Hashtag den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union. Die Forderung ist Bestandteil des AfD Wahlprogramms.
Mai
#divigate: Unter dem Hashtag wurde über vermeintliches Fehlverhalten von Intensivmediziner*innen und verschwundene Intensivbetten aus Statistiken des DIVI-Intensivregisters diskutiert. Auslöser war ein Interview in der Zeitung WELT mit Prof. Matthias Schrappe. Dieser prognostizierte, dass gar keine Überlastung des Gesundheitssystems drohte. Man habe den Menschen absichtlich Angst gemacht, um Lockdown-Maßnahmen zu rechtfertigen. Heute gilt es als belegt, dass Schrappe die Statistiken falsch interpretiert hat.
#antisemitismus: Vom 10.-21. Mai kam es zu einer weiteren Eskalation des Nahost-Konflikts. Im Zuge des Konflikts demonstrierten in Deutschland pro-palästinensische Akteure. Teilweise wurden antisemitische Parolen und Forderungen gerufen. Dies löste eine öffentliche Antisemitismusdebatte aus. Es ist ein gängiges Mittel der extremen Rechten auf Antisemitismus bei anderen zu verweisen, um somit vom eigenen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus abzulenken.
Juni
#freegeorgthiel: Unter dem Hashtag wurde die Freilassung von Georg Thiel gefordert. Dieser verweigerte die Zahlung des Rundfunkbeitrags und saß deshalb zeitweilig im Gefängnis. Die extreme Rechte eignete sich diesen Fall an, um gegen die öffentlich-rechtlichen Medien zu hetzen.
#würzburg: Bei einem Messerangriff am 25. Juni in Würzburg wurden fünf Frauen getötet und weitere Personen schwer verletzt. Die somalische Herkunft des Täters instrumentalisierte die extreme Rechte für rassistische Propaganda.
#ungarn: Der Auslöser für diesen Hashtag war das Spiel der Fußball Europameisterschaft der Männer zwischen Deutschland und Ungarn. Vor Beginn der Partie in München leuchtete die Allianz-Arena in Regenbogenfarben - ein Signal gegen das LGBTQ-feindliche Zensurgesetz der Orbán-Regierung in Ungarn. Die homo- und transfeindliche extreme Rechte kritisierte diese Aktion und solidarisierte sich mit Orbán auf Twitter.
#sachsenanhalt, #ltwsa21: In Sachsen-Anhalt wurde im Juni 2021 der Landtag gewählt. Die AfD erreichte 20,8% der Stimmen.
#greenpeace: Beim Spiel der Fußball Europameisterschaft der Männer zwischen Deutschland und Ungarn gelang ein Greenpeace-Aktivist per Fallschirm auf das Spielfeld. Unter dem Hashtag wurde ein Shitstorm gegen Greenpeace und Umweltaktivismus befeuert.
Juli
#hochwasser, #flutkatastrophe, #hochwasserkatastrophe: Im Juli ereignete sich in West- und Mitteleuropa eine Hochwasserkatastrophe, bei der in Deutschland mindestens 180 Menschen starben. Die extreme Rechte negierte in den medialen Debatten zum Hochwasser den Zusammenhang zwischen Extremwettereignissen und Klimawandel. Es wurde argumentiert, dass die etablierte Politik für die Katastrophe verantwortlich sei, da man jahrelang in Asyl- und Genderprogramme investiert hat und nicht in die deutsche Infrastruktur. Zudem wurde zu völkischer Solidarität aufgerufen und in das Katastrophengebiet mobilisiert.
#freereitschuster: Der Hashtag bezieht sich auf den Journalisten Boris Reitschuster. Dessen Twitter-Account wurde zeitweilig aufgrund von Desinformationen zur Pandemie gesperrt. Reitschusters Social-Media-Kanäle sind zentrale Medien der "Querdenken"-Szene, die diverse Überschneidungspunkte mit der extremen Rechten aufweist.
#nena: Im Zuge der Pandemie sympathisierte die Popsängerin Nena mit der "Querdenken"-Szene und teilte selbst verschwörungsideologische Inhalte. Nenas Äußerungen wurden heftig kritisiert. Die extreme Rechte solidarisierte sich jedoch wenig überraschend mit der Sängerin.
August
#afghanistan , #taliban: Im Monat August erfolgte in Afghanistan die Machtübernahme durch die Taliban. Aufgrund der Situation versuchten viele Menschen das Land aus Angst zu verlassen. Die extreme Rechte sprach sich auf Twitter gegen die Aufnahme von Menschen aus Afghanistan aus und warnte vor der Einwanderung weiterer "illegaler Flüchtlinge".
#gruenermist: Der Hashtag verweist auf die politische Diffamierungskampagne gegen die Grünen. Im Zuge der Kampagne wurden unter anderem Plakate aufgehängt, auf denen die Grünen als totalitär, sozialistisch und heimatfeindlich beschrieben wurden.
#kinderkongress: Der "alternative Kinderkongress" war eine Veranstaltung der AfD in Münster. Veranstaltet wurde die Zusammenkunft von der AfD-Fraktion im Landschaftsverband Westfalen Lippe. Inhaltlich ging es um den Schutz deutscher Kinder und Frauen, Genderideologie und die vermeintliche Gefährdung durch Einwanderung.
#b0108: Am 01. August 2021 fand eine Großdemonstration der "Querdenken"-Szene in Berlin statt, bei der diverse rechte und verschwörungsideologische Akteure und Inhalte zu sehen waren.
September
#deutschlandabernormal: Der Hashtag bezieht sich auf den Wahlslogan der AfD. Solche Slogans stellen der Versuch dar, extrem rechte Weltbilder zu normalisieren und sich selbst als Vertreter der breiten Mehrheit zu inszenieren.
Ausblick
Die Monatsanalysen haben zum einen genauer gezeigt, wie die extreme Rechte an die zentralen gesellschaftlichen Themen wie die Pandemie anknüpft (Kinderkongress, Divigate etc.). Zum anderen konnten wir eine Vielzahl weiterer Themen identifizieren, die auf die Bandbreite extrem rechter Diskurse verweisen (Rundfunkbeitrag, Umwelt, Außenpolitik, LGBTQ etc.). In den kommenden Monaten werden wir uns mit einigen dieser Themen natürlich noch im Detail beschäftigen. Dabei wird es insbesondere darum gehen, welche Raum- und Ortsbezüge in den Debatten aufgemacht werden, wie über internationale Krisen gesprochen wird und das Verhältnis von Natur und Gesellschaft verhandelt wird. Dabei werden wir den Blick auch auf andere Medien wie Blogs und YouTube werfen. Über Ergebnisse werden wir hier im Blog weiter berichten.